Die Welt ist hart und böse. Kein Tag vergeht, ohne dass die Medien nicht neue Hiobsbotschaften verkünden von Wirtschaftsrezessionen, Umweltkatastrophen oder der Verrohung der Gesellschaft.
Dem ehemaligen Royal Marine und Rentner Harry Brown (Michael Caine) ist dies alles ziemlich egal, obwohl er in einem der sozialen Brennpunkte Londons lebt. Die kranke Ehefrau beansprucht seine ganze Aufmerksamkeit, und zum Ausgleich reichen ihm vollkommen die Schachpartien mit seinem besten Freund im örtlichen Pub.
Dies ändert sich schlagartig, als seine Frau ihrer Krankheit erliegt und sein Freund brutal ermordet wird. Die Indizien sprechen klar für den hiesigen Bandenführer Noel (Ben Drew). Ohne handfeste Beweise kann die überforderte Polizei nicht agieren, sie plant aber ein härteres Vorgehen gegen Jugendkriminalität und löst so ein Inferno aus. Und während der Stadtteil in Flammen aufgeht, nimmt Harry Schicksal und Gesetz selbst in die Hand.
Der britische Regisseur Daniel Barber führt den demographischen Kampf der Generationen in eine neue Runde. Doch auch wenn er sich am klassischen Vigilante-Thriller orientiert, so degeneriert der Film doch nicht in eine tumbe Gewaltorgie. Man fühlt sich im ersten Moment erinnert an Gran Torino, doch ist die Gewichtung eine andere. Handelt es sich bei Eastwood um eine emotionale Katharsis eines nun gereiften Heißsporns, führt uns Barber in das urbane Herz der Finsternis.
Allein das furiose, mit einer Handy-Kamera gefilmte Intro: Es zeigt den brutalen Initiationsritus einer Jugendclique, gefolgt von Aufnahmen zweier Jugendlicher aus der POV-Perspektive auf einem Motorrad, die eine junge Mutter aus Leichtfertigkeit erschießen und dann gegen einen LKW krachen. Die Eingangssequenz ist eine Warnung an den Zuschauer: Vorsicht, was nun kommt, sowohl narrativ als auch visuell, hat das Potential, zu überrollen.
Denn gerade aufgrund der realistischen Darstellung der Wirklichkeit ist dieser Film unangenehmer und erschreckender als die Horrorvertreter auf dem FFF.
Barber versteht es meisterhaft, Atmosphäre zu kreieren, von der Auswahl und kühlen Darstellung der Handlungsorte, bis zur sinistren musikalischen Untermalung. Das schauspielerische Ensemble trägt mit souverän guten Leistungen die Handlung. Vom Grand Sire des britischen Films Michael Caine, bis zu Emily Mortimer (Match Point, Shutter Island) als Verkörperung des idealistisch Guten.
Besonderes Augenmerk verdient dabei Ben Drew alias Plan B, ein Newcomer in der englischen Musikszene, dessen gnadenlose Darstellung des tyrannischen Teenie-Diktators voll überzeugt. Der dargestellte Nihilismus wirkt umso eindringlicher, weil der Held kein tumber Kanonen-Caballero ist, sondern ein gebrechlicher alter Mann, der seinen Feinden zwar an Erfahrung überlegen, aber physisch klar unterlegen ist.
Harry Brown ist alleine deswegen ein intelligenter Vertreter seines Genres, da die Jugendlichen nicht einfach nur verzogene Bestien sind, sondern die Dysfunktionalität dadurch bestimmt wird, dass sie selber Opfer einer orientierungs- und verantwortungslosen Generation sind, deren Mündel sie waren.
So singt denn auch Plan B in den "End Credits", geläutert und komplementär zu seinem filmischen Alter Ego:
"When my mind stops thinking
And my eyes stop blinking
I hope ...
Somebody’s there
When my heart stops beating
And my lungs stop breathing
In air ...
I hope somebody cares."
Harry Brown ist ein sehr drastisches, dafür umso sehenswerteres Plädoyer gegen Nihilismus und soziale Kälte.
Angelos Botsaris
06.09.2010
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Offizielle Website: http://www.harrybrownthemovie.co.uk/
imdb Info: Harry Brown