Kurzfilmtage Oberhausen 2004 - Totgesagte leben länger

Totgesagte leben länger

Kurzfilmtage Oberhausen 1968 Wie so mancher Film mag auch das weltälteste Kurzfilmfestival in Oberhausen dem begeisterten Besuchern viel zu kurz vorgekommen sein. Ein halbes Jahrhundert lang kontroverse Filme eines Genres zu zeigen, das eigentlich keinen Markt mehr hat, ist etwas Besonderes und war ein 50-jähriges Jubiläum wert.

Der kurze Film ist tot - es lebe der Kurzfilm!

Wo soll man anfangen, um die zahllosen Impressionen 2004 wiederzugeben - bei der pompösen Eröffnung im Gasometer mit Schröder, Schlingensief und wie sie alle heißen?

Schwimmen wir gegen den Strom, zäumen wir den Gaul von hinten auf, gehen wir von innen nach außen und fangen wir an bei Festivalleiter Lars Hendrick Gass. Er erinnert trotz feinem Zwirn und repräsentativem Posten mit seiner Strubbelfrisur irgendwie eher an einen rotzigen Bengel, der lieber verächtlich mit den Schultern zuckt als sich anzubiedern und Kritikern wie Pressefritzen auch schon mal sagt, was er von ihnen hält - nämlich äußerst wenig.

Er scheint wie dafür gemacht, diesem wider den Strich gebürsteten Festival vorzustehen, und garantiert für den Fortbestand der Unabhängigkeit in Oberhausen.

Roman Polanski Auch in diesem Jahr präsentierte sich Oberhausen mutig. Zum Beispiel mit der Retrospektive, die die ehemalige Leiterin Angela Haardt aus einem halben Jahrhundert Festivalgeschichte zusammenstellte. Hier bekam der passionierte Filmfreak die Chance, Raritäten wie George Lucas Kurzfilm THX 1138 zu sehen. Eine kalte Vision von einem Überwachungsstaat ähnlich Orwells 1984.

Ob man selbst damals schon das Genie Lucas erkannt hätte, komplett in sich stimmige und funktionierende Universen zu erschaffen, wie er es mit Star Wars tat? Vermutlich nicht.
Aber THX 1138 wollte man sowieso schon immer mal gesehen haben, genau wie eines der Roman Polanski-Frühwerke wie Ssaki von 1962. Ein Geschenk an alle, die zu der Zeit als Herzog, Karmakar und Co. noch unerkannt durch Oberhausen spazierten, noch im großen Teich schwammen.

Deutscher / Internationaler Wettbewerb

WASP In den Wettbewerben reichte die Palette von beißendem Zynismus (Living a beautiful life, Sieger im Deutschen Wettbewerb) bis zu Stories mit ambivalenten Figuren, die die konventionelle Schwarz-Weiß-Zeichung der Gesellschaft nicht zulassen wollten: WASP handelt von einer Mutter, die ihre Kinder verleugnet, als sie ihrer Jugendliebe begegnet. Dafür gab's sowohl den Hauptpreis der Jury als auch den Preis des Kulturministeriums und eine lobende Erwähnung.

Kinder- und Jugendkino

Oranges Auch das Kinder und Jugendkino zeichnete sich durch die Behandlung schwieriger Themen aus. Der Sieger in der Jugendkategorie kommt aus Australien und ist von Kristian Pithie. Oranges handelt von einem Jungen, der sehnsüchtig seinen ersten Kuss erwartet und ihn am Ende überraschend von einem anderen Jungen bekommt.

Sonderprogramme

Crystal Aquarium, Jayne Parker, GB 1995 Die Sonderprogramme zu Jayne Parker und Yamada Isao waren schwer verdaulich. Eine nackte Frau, die sich minutenlang Gedärme aus dem Mund zieht wie ein Zauberer einen niemals enden wollenden Schwall bunter Tücher und diese danach zu einem grobmaschigen Pullover strickt, ist sicher nicht jedermanns Geschmack.
Beide Specials erinnern an Perfomance-Kunst und dürften zumindest die weniger abstrakt orientierten Zuschauer kalt gelassen haben.

Musik-Videos - MuVi-Award

Der MuVi-Award wird immer verrückter und das Publikum wächst von Jahr zu Jahr. Bekannte Clips von namenhaften Künstlern (Beck, Wir sind Helden) lockten ebenso wie die Newcomer, bis die Lichtburg fast aus allen Nähten platzte.

Fazit
Kurzfilmtage Oberhausen 2004 Auch 2004 sind die Kurzfilmtage nicht mit spaßigen Langfilmfestivals wie Mannheim oder Berlin zu vergleichen, denn Oberhausen bietet Kunst. Dies liegt nicht nur an der Form des Kurzfilms, der von jeher als ein eigenständiges Medium mit eigenen Gesetzen anerkannt werden muss.
Grund ist vielmehr die Vielfalt der experimentellen Stile und Themen, die nichts geringeres behandeln als Identifikationsverlust, Vertreibung und Gesellschaftskritik.

Kaum einer schafft mehr als drei Programme am Stück, ohne von der Reizüberflutung weggespült zu werden. So ist Oberhausen zwar ein anstrengendes Festival, das nicht immer Spaß bringt, seine Besucher jedoch trotz aller Schwere inspiriert zurücklässt. Sofort möchte man den eigenen Camcorder schnappen, um eigene Gefühle und Eindrücke auf das Filmmaterial bannen.
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Abschließend eine Anmerkung in eigener Sache als gebürtige Oberhausenerin:
Liebe Oberhausener, lauft nicht weiter sturr geradeaus starrend an einem der wichtigsten kulturellen Ereignisse eurer Stadt vorbei. Denn so wie nicht wenige in der Masse der Vorbeilaufenden schauen, möchte man hämisch vermuten, dass die meisten nicht mal heute wissen, wer George Lucas oder gar Roman Polanski ist.

Maxi Braun