MuVi-International - Die Emanzipation des Clips
1999 ins Leben gerufen ist der MuVi-Preis schon jetzt ein Ereignis in Oberhausen. Der Clip scheint immer MTV-unabhängiger zu werden und ist längst kein Zwischenstopp mehr auf dem Weg zum "ernsthaften" Regisseur, sondern bringt eigene Talente wie Roman Coppola hervor.
Doch diese Unabhängigkeit entwickelt sich erst, seit sich der Clip von den Konventionen der Musiksender distanziert und sich als eigenständige Kunstform zu etablieren beginnt. So fänden viele Videos aufgrund ihrer Länge oder ihres abstrakten Stils gar keine Plattform, gäbe es nicht den MuVi-Preis im Rahmen der Kurzfilmtage.
Wo sonst würde ein Video zu Johnny Cashs "Hurt" unter demselben Programmpunkt laufen wie ein weitere Version zum Underworld-Klassiker "Born Slippy"?
Insgesamt präsentierte MuVi-Verantwortliche Jessica Manstetten eine Palette unterschiedlichster Arbeiten, die sich weder festlegen, noch in Schubladen stecken lassen. 13 Beiträge lockten dieses Jahr wieder einmal ein noch größeres Publikum als im Vorjahr in die Lichtburg.
Mark Romanek, vielen eher als Regisseur von One Hour Photo bekannt, brachte Reflektionen über Johnny Cash auf die Leinwand, Beck tauchte zu "Lost Cause" mit eher leisen Tönen ab, während Sofia Copppla (Lost in Translation) zu den Klängen der White Stripes Kate Moss sinnlos aber elegant einen wirbelnden Table-Dance ausführen ließ - ganz dem Titel gemäß "I just don't know what to do with myself"
Wohin mit all der Energie scheinen auch die Schulmädchen in Daniel Levis visueller Version zu Freak nicht gewusst zu haben. Die Lehrerin wird ins Klo gesperrt und kann nur noch im Takt mit ihren Fäusten gegen die Türe hämmern, während die braven Eleven auf dem Schulhof unter Einfluss des LFO-Stücks zu verruchten Streetdancern mutieren.
Angeführt von zwei Vortänzern steigern sie sich in den immer heftiger werdenden Rhythmus hinein, bis sie sich nur noch ekstatisch zu schütteln scheinen und ihr Körper vollends im Bann der Musik ist.
Levis Interpretation ist eine temporeiche Choreographie, bei der gerade die ungeschliffenen Tanzeinlagen der anfangs brav und angepasst wirkenden Schulkinder die Musik und ihre Wirkung auf den Körper in den Vordergrund stellen.
Auch den Zuhörern im großen Saal der Lichtburg, die es zu Beginn des Programms noch eher verhalten auf den Sitzen hielt, fuhr der Beat in die Beine. Besonders ein Clip wurde frenetisch gefeiert. In der Kategorie "abstract" perfekt untergebracht war "Walkie Talkie Man" von Steriogram:
Die Band nimmt ihren Song im Studio auf. Musiker, Mikrophone und Mischpult - alles besteht aus Wolle, wird aufgeribbelt und wieder neu gestrickt. Doch ein an King Kong erinnerndes Merino-Monster greift mit seiner Plüschklaue durchs Fenster, um die Jungs Masche für Masche auseinander zu nehmen.
Für diesen groben Unfug zeichnet sich kein anderer als der Franzose Michel Gondry verantwortlich, der ja schon Patricia Arquette in Human Nature in eine am ganzen Körper beharrte Kaspar-Hauser-Variante verwandelte und bald mit Eternal Sunshine of the Spotless Mind unter Beweis stellen sollte, dass sein Ideenreichtum auch in Spielfilmlänge nicht verloren geht.
Einzig die 60minütige Illustration des Albums "Love Bomb" von Terre Thaemlitz war dann selbst den Aufgeschlossensten zu viel des Guten. Sein Experiment war nicht nur unbrauchbar für das kommerzielle Musikfernsehen, sondern zumindest in diesem Jahr noch eine Spur zu ungewöhnlich für die Zuschauer, von denen die wenigsten ein Stunde durchhielten.
Aber wer weiß, bei dieser rasanten Entwicklung in den letzten Jahren wird vielleicht auch diese Form des Musikvideos irgendwann seine Lobby finden.
Maxi Braun