Nuit noire / Die schwarze Nacht - Olivier Smolders

Die Jungfräulichkeit des Kinogängers in der Schwarzen Nacht

Nuit noire / Die schwarze Nacht - Film, DVD, Video - online bestellen Als die Gebrüder Lumière 1895 ihren Cinématographe erstmals vorführten, zeigten sie selbstgedrehte Kurzfilme von Arbeitern, die eine Fabrik verlassen. Gute 110 Jahre Filmgeschichte sind seither vergangen und längst haben wir alle unsere cineastische Unschuld verloren. In Zeiten von Morphing und digitalen Darstellern gibt es fast nichts mehr, was uns zu erstaunen oder gar zu verzaubern vermag. Alles scheinen wir irgendwie schon mal irgendwo zuvor gesehen zu haben. So ist auch Nuit Noire (Die Schwarze Nacht) des belgischen Regisseurs Olivier Smolders ein Mosaik, welches aus der Fülle der mannigfaltigen Kinogeschichte schöpft.

Ein Entomologe präpariert in einem Museum Schmetterlinge, während es draußen niemals hell zu werden scheint und die Sonnenstrahlung von wenigen Sekunden den Höhepunkt seines Tages bilden. In der Kindheit hat er seine Schwester verloren und alles was ihm von ihr geblieben ist, ist eine Filmspule mit verkratzter Heimatvideoqualität.

Als er eines Tages nach Hause kommt, liegt eine nackte, hochschwangere Schwarze in seinem Bett und stört seine eingefahrene Routine. Sie ist krank und er kann nicht verhindern, dass sie stirbt. Was läge da für einen Präparator näher, als dieser menschlichen Larve bei der Verpuppung zu helfen und darauf zu warten, dass der Schmetterling schlüpft?

Nuit noire / Die schwarze Nacht von Olivier Smolders Interessant ist nicht die teilweise krude Story, die Smolders mühevoll und teilweise recht prätenziös wie ein künstliches Spinnennetz zu weben versucht, sondern die Bilder, in denen er sie erzählt. Das unwirkliche Museum, die Wohnung des Protagonisten, alles wirkt wie aus den letzten Tagen des 19. Jahrhunderts und breitet in der ständigen, diffusen Dunkelheit ein faszinierendes Schreckenskabinett vor uns aus. Jede Sekunde erwartet man, im Museum dem "Relikt" über den Weg zu laufen, die plötzlich zum Leben erwachenden Insekten teleportieren uns in die Behausung des Killers Gump aus dem "Schweigen der Lämmer" und David Lynch scheint sowieso hinter jeder Ecke zu lauern.

Alles ist die Kopie einer Kopie einer Kopie, dennoch ist Nuit Noire mitnichten ein Plagiat. Wenn Smolders stilisierte Symbole der Metamophorse und vor Bedeutungsschwere triefende Farben wie Schwarz, Weiß und Rot verschwenderisch auf die Leinwand tropfen lässt, fasziniert er und stimuliert verborgene Erinnerungen, ohne uns mit Wiederholung zu langweilen. Angenehm ist dabei, dass seine Story keinesfalls mit Botschaften überfrachtet ist, vielmehr bietet sie nur den Rahmen für die visuellen Experimente zwischen Ekel und Ästhetik.

Und wenn dem Kokon schließlich eine wunderschöne bleiche, rothaarige Frau entsteigt und plötzlich wieder hellichter Tag auf der Straße herrscht, verstehen wir nichts mehr und staunen nur, wie Smolders sein surrealistisches Gemälde vollendet.

Es mag daran liegen, dass die Autorin dieser Zeilen einen Faible für Filme mit freilaufenden Wildtieren hat, seit sich Tyler Durden wilde Bären und Hirsche in den Ruinen des World Trade Centers vorstellte. Aber vielleicht schafft Nuit Noire es auch nur, den Zuschauer mit seinen sanften Bilderfluten wieder unvoreingenommen gegenüber der Magie des dunklen Saals des Kinos zu machen und ihm ein Stück seiner verlorenen Unschuld zurückzugeben. So stellt man sich die Frage, ob uns manche Regisseure nicht auch heute noch mit einem Sujet über aus einer Fabrik spazierende Arbeiter verzaubern könnten, wenn sie sie nur visionär und kunstvoll genug präsentieren würden.

Maxi Braun

Nuit Noire (Die Schwarze Nacht) (2005)
Belgien
Regie: Olivier Smolders
Smolders Website: www.smolderscarabee.be
imdb Info: Nuit noire
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