Chile 672 / In der Chilestraße Hausnummer 672

Chile 672 / In der Chilestraße Hausnummer 672 Wer La Comunidad von Alex de la Iglesia gesehen hat, weiß: es kann immer noch schlimmer kommen. Wer die nette Mietsmischpoke in der Chilestraße Hausnummer 672 kennen lernt, weiß mehr, denn sobald es schlimmer geworden ist, setzt das Schicksal noch einen ordentlichen Schlag drauf. Hier braucht es keinen Koffer voller Geld, um das Böse aus den menschlichen Abgründen hervorzulocken. Ehebruch, Erpressung, Prostitution, Pädophilie, Mord - in diesem Haus scheinen sich alle sieben Todsünden personifiziert zu haben, um miteinander ein perfides Ringelrein zu spielen, bevor sie sich gegenseitig an die Kehle gehen.

Ob es die alternde Diva ist, die sich von einem schmierigen Produzenten vergewaltigen lässt, um ihre Karriere zu retten, der Ehemann, der aus lauter sexueller Frustration ein Kind verführt oder die strenge Katholikin, die sich selbst exorziert, um ihren sexuellen Phantasien zu entfliehen - alle leben in ihrer persönlichen Hölle, ohne es zu merken. Jede der Figuren scheitert aus nachvollziehbaren Gründen grandios am eigenen Leben und stellt dennoch beim Blick über den Tellerrand selbstgefällig fest, wie verrückt der Nachbar im Vergleich zu einem selbst doch ist.

Gerade, wenn wir uns damit abgefunden haben, dass dieser Mikrokosmos genauso gut als Modell für den ganzen Moloch des modernen Großstadtlebens gesehen werden kann, ziehen die argentinischen Regisseure Pablo Bardauil und Franco Verdoia die Schraube nochmals an. Und wo sich La Communidad in all seiner Absurdität noch hinter einer gewissen Komik versteckt und am Ende die versöhnlich anmutende Pointe setzt, erleben wir am Ende von Chilestraße Hausnummer 672 eine Katharsis ganz anderer Art: Um die Ordnung wieder herzustellen, das eigene Leid und vor allen Dingen die eigenen Taten rechtfertigen und relativieren zu können, werden ohne mit der Wimper zu zucken scheinbar willkürlich einige Sünder geopfert, damit es jemanden gibt, auf den man mit dem Finger zeigen kann. Denn was hinter den verschlossenen Türen des Nachbarn lauert, muss noch viel schlimmer sein, als das, was man selbst im Geheimen verbrochen hat.

Gegen dieses finale Sündenbock-Springen in der Chilestraße Hausnummer 672 wirkt daher jeder noch so perfide Film Pedro Almodóvars wie eine saccharin-triefende Neuverfilmung der Sissi-Reihe.

Maxi Braun

Chile 672 / In der Chilestraße Hausnummer 672
(2006)
Argentinien
Regie: Pablo Bardauil / Franco Verdoia

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imdb Info: Chile 672